Der piepsende Haushalt

Ich kann doch tatsächlich nicht mehr selbst entscheiden, wann ich meine Wäsche aus der Waschmaschine herausnehmen möchte, denn die neue Waschmaschine piepst so lange, bis man die Tür öffnet… Viele Geräte im Haushalt piepsen und klingeln und machen Geräusche, bis man sich um sie kümmert. Ich glaube nicht, dass nur ich besonders geräuschempfindlich bin, sicherlich sind es viele andere Menschen auch. Ich glaube aber auch, dass viele Menschen unbewusst sehr genervt von vielen Geräuschen sind, auch von den feinen, nur sind sie zu abgestumpft, um so etwas wie das Piepsen der Waschmaschine im 10-Sekunden-Rhythmus als stressend zu empfinden. Wir nehmen es nicht wahr. Weil wir daran gewöhnt sind. Unser Körper jedoch fühlt den Stress trotzdem.

Erinnern wir uns an die Grundidee von Haushaltsgeräten: Sie sollen den Menschen daran erinnern, die zu erledigenden Dinge nicht zu vergessen und sie sollen ihnen gewisse Arbeiten abnehmen oder erleichtern. So sagen uns Mikrowelle und Thermomix Bescheid, wenn das Essen fertig ist, der moderne Induktionsherd piepst bei jedem berühren der in die Platte integrierten Nicht-Knöpfe, der Eierkocher gibt ein sirenen-artiges Geräusch von sich, wenn die Eier fertig sind, der Saugwischer von Vorwerk könnte von der Geräuschkulisse her auch mit einem Vibrationsstampfer auf der Baustelle mithalten und möchten wir uns schließlich für einen Moment im Garten entspannen und durchatmen, erklingen die Rasenmäher der Nachbargrundstücke im Chor. Wundern wir uns ernsthaft über Stress, Unruhe und Antriebslosigkeit? Und über unser dringendes Bedürfnis nach regelmäßigem Urlaub?

Die Ära des Studierens und der Technisierung brachte uns dazu, uns auf Geräte und Maschinen zu fokussieren. Wir begannen, uns mehr auf diese zu verlassen, als auf uns selbst und haben uns über die Jahre von ihnen abhängig gemacht. Geräte und Maschinen bestimmen zum Teil den Ablauf unseres Tages, nicht nur auf der Arbeit, sondern auch zu Hause.

Mit der Über-Entwicklung des Gehirns, des Denkens, des Geistes, und mit der Ausrichtung auf und Zusammenarbeit mit Maschinen und Geräten fingen wir an, unseren Körper und seine Intelligenz zu vergessen. Wir haben den Körper selbst zu einer ausführenden und gehorchenden Maschine degradiert. Auf eine gewisse Weise ist es nicht mehr die Waschmaschine, die mir "gehorcht", sondern ich gehorche der Waschmaschine...

Wir hören auf Geräte, Maschinen und viel Gequassel im Außen und all das übertönt die innere Stimme und die Sprache des Körpers. Wir sind so überreizt, dass wir gar nicht mehr wahrnehmen, ab wann der Körper gestresst ist oder was er sich wünscht. Mich stresst das Piepsen der Waschmaschine, was ist es bei dir?

 

In diesen Zeiten von vielen körperlichen Krankheiten, Stress und Burn outs fühlt es sich an, als müssten wir den Umgang mit unserem Körper und seiner Sprache wie neu lernen. Aber in Wahrheit müssen wir nur verlernen, ihn zu missachten. Wir müssen uns zurück erinnern, dass wir unter dem ganzen kopfigen virtuellen Gequassel den ganzen Tag, unter unserem ganzen Denken und unseren To-do-Listen eigentlich ganz körperliche Wesen sind. Und vor allem müssen wir uns zurückerinnern, wie viel Ruhe, Entspannung und Vertrauen es uns einst gegeben hat, eins mit unserem Körper und der Natur zu sein. Auf beides zu hören gibt uns eigentlich alles, was wir brauchen. Der Instinkt, die Intuition, der Rhythmus der Natur, der Zyklus der Natur, der Zyklus des Körpers, des Lebens. Der natürliche Zyklus – es ist alles da, was wir für ein gesundes ruhiges Leben brauchen. Wenn wir das möchten.

Früher waren Menschen mehr eins mit der Natur. Es gab kein Weckerklingeln zum Aufzustehen, sondern es gab den Sonnenaufgang. Es gab nicht die Frage, wie viele Netflix-Folgen die Serie noch hat, sondern es gab den Sonnenuntergang und damit war der Tag beendet. Es gab Jobs, die sich nicht nach den Vorgaben der Wirtschaft richteten, sondern zum Beispiel von Ebbe und Flut oder den Jahreszeiten abhängig waren. Nicht der nächste Job auf der Karriereleiter, sondern vom Vieh kahl gefressene Wiesen bewogen Familien zum Weiterziehen. Menschen hatten ein großes Wissen über die Natur und Instinkte darüber, in ihr und mit ihr zu leben. Medizinmänner und -frauen heilten mit Hilfe von Kräutern und Pflanzen in direkter Kommunikation mit der Natur.

Ich sage nicht, dass das Leben damals einfacher war oder dass es keine Krankheiten gab. Ich sage auch nicht, dass unsere Geräte und Maschinen Bullshit sind oder dass ich auf sie verzichten möchte. Was ich sage ist, dass die Art und Weise, wie wir die Technologisierung nutzen sich zu weit vom Ursprungsgedanken entfernt hat. In vielen Punkten schadet sie mehr, als dass sie dient. Wir nutzen sie stumpf und ohne Hinterfragung. In dem Bestreben, immer ausgeklügeltere Systeme zu entwickeln und herauszufinden, was alles möglich ist, ist der Sinn des Ganzen verloren gegangen.

Was wäre, wenn unsere heutige Gesellschaft das alte Wissen, die eigene Körperintelligenz und die Zyklen und Gesetze der Natur in die kognitive Intelligenz und die Technologisierung einfließen lassen würde? Die kognitive Intelligenz und Technologie FÜR den Menschen, seine Gesundheit und FÜR die Natur einzusetzen, das wäre schön…

Dazu müssen wir aber erst einmal wieder fühlen, was wir überhaupt brauchen, wie wir leben möchten, damit es uns gut geht. Und zwar innerlich und nicht aufdiktiert von außen.

Verfasst am 22.06.21

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